Fiktiver Schadensersatz bei Immobilien: Altbau ja, Neubau nein

21

Mai.
2021

Fiktiver Schadensersatz bei Immobilien: Altbau ja, Neubau nein

erstellt von Jan-Hendrik Thomsen

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Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte es jahrzehntelang mit den allgemeinen Regeln des Schadensersatzrechts als vereinbar erachtet, dass der Käufer einer gebrauchten Immobilie oder der Bauherr eines Neubaus bei Vorliegen von Mängeln die Mängelbeseitigungskosten fiktiv verlangt, beispielsweise indem sie durch einen Gutachter oder Kostenvoranschläge anderer Unternehmer beziffert werden. Das galt unabhängig davon, ob der Erwerber/Bauherr die Mängel beseitigen lassen oder nur den Betrag für die Mängelbeseitigung vermögensmehrend vereinnahmen wollte, ohne Mängel zu beseitigen. Entschieden sich Erwerber oder Bauherr gegen die Beseitigung der Mängel, konnte lediglich die Umsatzsteuer nicht ersetzt verlangt werden, da diese nur ersetzt verlangt werden kann, wenn sie auch anfällt. Diese Form der Abrechnung gilt als "fiktiv", weil der Schadensersatz, der zur Beseitigung aufgewendet werden müsste tatsächlich nicht zur Beseitigung des Schadens eingesetzt wird bzw. noch nicht eingesetzt wurde sondern lediglich vereinnahmt wurde.

Der für Bau- und Architektenrecht zuständige VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs entschied Anfang des Jahres 2018, dass die Geltendmachung des fiktiven Schadensersatzes mit den Grundsätzen und Besonderheiten des Werkvertragsrechts nicht vereinbar sei. Häufig führe diese Möglichkeit zu einer Überkompensation des Schadens zugunsten des Bauherrn. In der Tat konnte man in einigen Ausnahmefällen in der Vergangenheit in der Praxis den Eindruck gewinnen, dass der ein oder andere erfahrenere Bauherr sich dies zu nutze machen wollte, um die Bausumme in seinem Sinne nachträglich zu reduzieren.

Stattdessen führt der BGH jetzt u.a. aus, dass der Bauherr

 „im Wege einer Vermögensbilanz die Differenz zwischen dem hypothetischen Wert der durch das Werk geschaffenen oder bearbeiteten, im Eigentum des Bestellers stehenden Sache ohne Mangel und dem tatsächlichen Wert der Sache mit Mangel ermittelt. Hat der Besteller die durch das Werk geschaffene oder bearbeitete Sache veräußert, ohne dass eine Mängelbeseitigung vorgenommen wurde, kann er den Schaden nach dem konkreten Mindererlös wegen des Mangels der Sache bemessen.“

Der Mindererlös im Rahmen der Veräußerung ist ohne größere Probleme bezifferbar. Die aufzustellende Vermögensbilanz hingegen wirft bei einigen Juristen noch immer Fragen auf.

Der BGH konstatierte u.a. weiter, dass der Minderwert auch im Wege einer Schätzung ermittelt werden könne und bei der Absicht die Mängel beseitigen zu lassen, der Bauherr weiterhin einen Vorschuss zur Mängelbeseitigung vom Auftragnehmer verlangen könne. Gleiche Grundsätze sollen nach den Ausführungen des VII. Senats im Verhältnis zum Architekten gelten. Auch die Unterschiede des BGB-Werkvertrages oder des VOB/B Vertrages rechtfertigten keine unterschiedliche Behandlung, so der BGH.

Der für die Immobilienkäufe zuständige V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hielt hingegen im März 2020 an der Möglichkeit der Geltendmachung des fiktiven Schadensersatzes im kaufrechtlichen Bereich fest.

Um diese Uneinigkeit zwischen den Senaten im Hinblick auf diese Bewertung einer Klärung durch den in solchen Konstellationen zuständigen großen Senat prozessual zuführen zu können, fragte der V. Senat beim VII. Senat an, ob dieser an seiner Rechtsansicht festhalten wolle. Schon im Oktober 2020 bekräftigte der VII. Senat seine Ansicht, dass ein fiktiver Schadensersatz im Werkvertragsrecht nicht mehr möglich sei.

Der für die Immobilienkäufe zuständige  V. Senat lenkte 2021 für den werkvertraglichen Rechtsbereich ein, aber hält daran fest, dass bei gestörten Immobilienkaufverträgen von gebrauchten Immobilien der Käufer im Falle von Mängeln weiter den fiktiven Schadensersatz geltend machen kann. Der Unterschied in der Geltendmachung des Schadensersatzes beim Kaufvertrag zu der beim Werkvertrag sei u.a. deswegen gerechtfertigt, weil im Werkvertragsrecht der Erwerber einen Anspruch auf die Leistung eines Vorschusses für die Mängelbeseitigungskosten habe, über den später konkret abgerechnet werden müsste, wohingegen ein solcher Anspruch im Kaufrecht nicht bestünde. Dieser Nachteil der Vorfinanzierung zur Mängelbeseitigung im Kaufrecht würde durch die Möglichkeit des fiktiven Schadensersatzes ausgeglichen werden.

Welche Möglichkeiten zur Verfügung stehen hängt mithin von der Qualifizierung des Rechtsverhältnisses ab. Der Neubau richtet sich unzweifelhaft nach dem Werkvertragsrecht. Der Kauf einer gebrauchten Immobilie wird anhand des Kaufrechts bewertet. Bei dem Kauf einer gebrauchten Immobilie mit Umbauverpflichtungen wird - wie beim vom V. Senat entschiedenen Fall -zumindest solange das Kaufrecht Anwendung finden, solange die Umbauarbeiten übersichtlich sind.

Unser Ansprechpartner für privates Baurecht: Rechtsanwalt Jan-Hendrik Thomsen.