Gesundheitsfragen: Lampenfieber keine anzeigepflichtige Krankheit

21

Jun.
2023

Gesundheitsfragen: Lampenfieber keine anzeigepflichtige Krankheit

erstellt von Dr. Frank Markus Döring

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Wer eine Personenversicherung (Lebensversicherung, Berufsunfähigkeitsversicherung, Private Krankenversicherung, Unfallversicherung) abschließen möchte, erhält bei der Antragstellung regelmäßig Gesundheitsfragen des Versicherers, die beantwortet werden müssen. Rechtlicher Hintergrund ist die im Versicherungsvertragsgesetz (VVG) verankerte Anzeigeobliegenheit des Versicherungsnehmers. Gemäß § 19 Abs. 1 VVG muss der Versicherungsnehmer in seinem Antrag solche Gefahrumstände angeben, nach denen der Versicherer gefragt hat. Die Nichteinhaltung der Anzeigeobliegenheit kann zum Verlust des Versicherungsschutzes führen. Der Versicherer kann bestimmte Risiken nachträglich ausschließen, ganz vom Vertrag zurücktreten und in gravierenden Fällen sogar den Vertrag wegen arglistiger Täuschung anfechten.

Die Regeln zur Anzeigeobliegenheit wurden mit der VVG-Reform im Jahr 2008 verändert. Zuvor musste der Versicherungsnehmer gefahrerhebliche Umstände angeben, ohne dass es dafür auf Fragen des Versicherers ankam. Die Beurteilung der Gefahrerheblichkeit von nicht angegebenen Umständen bildete deshalb immer einen Streitpunkt. Nach Inkrafttreten der Neuregelung gab es eine Rechtsmeinung, nach der schwerwiegende Umstände weiterhin angegeben werden müssen, auch wenn danach nicht gefragt wurde. Die Rechtsprechung lehnt diese Meinung jedoch ab mit der Folge, dass auch offensichtlich gefahrerhebliche Umstände nicht angegeben werden müssen, wenn danach nicht gefragt wurde. Die Antragsformulare der Versicherer enthalten deshalb mittlerweile immer umfangreichere und tiefer gehende Fragenkataloge.

Das Oberlandesgericht (OLG) Dresden hatte mit Urteil vom 06.12.2022 (Aktenzeichen 4 U 1215/22) einen Fall zu entscheiden, in dem der Versicherungsnehmer bei einem Antrag auf eine Berufsunfähigkeitsversicherung nach Krankheiten, Funktionsstörungen, Beschwerden und Behandlungen der Psyche innerhalb der letzten 5 Jahre vor der Antragstellung gefragt worden war. Der Versicherungsnehmer hatte diese Frage verneint.

Nachdem der Versicherungsnehmer wegen einer psychischen Erkrankung Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung beantragt hatte stellte sich heraus, dass innerhalb des 5-Jahres-Zeitraums einige probatorische Sitzungen bei einem Psychotherapeuten stattgefunden hatten. Die Mutter des Versicherungsnehmers hatte die Überweisung durch den Hausarzt veranlasst, weil sie befürchtete, der Versicherungsnehmer könne bei den anstehenden Abiturprüfungen unter Lampenfieber leiden und deshalb Probleme mit den Prüfungen bekommen. Eine Krankheitsdiagnose war weder vom Arzt noch vom Psychotherapeuten gestellt worden.

Der Versicherer stellte sich auf den Standpunkt, dass die Gesundheitsfragen nach Krankheiten der Psyche falsch beantwortet worden sei und schloss psychische Erkrankungen nachträglich vom Versicherungsschutz aus. Dagegen wandte sich der Versicherungsnehmer und klagte auf die Versicherungsleistung.

Das OLG Dresden meint, dass der Versicherungsnehmer die Gesundheitsfragen nach Krankheiten und Beschwerden nicht falsch beantwortet habe. Bei einer Frage nach Krankheiten, Funktionsstörungen und Beschwerden müssten nur Zustände angegeben werden, die vom normalen Gesundheitszustand so stark und nachhaltig abweichen, dass dadurch die berufliche Leistungsfähigkeit oder Einsatzmöglichkeit dauerhaft beeinträchtigt werden kann. Ein bloßes Lampenfieber, dass noch keine krankhafte Prüfungsangst darstelle, bilde keinen solchen von der Norm abweichenden Gesundheitszustand.

Das OLG beschäftigt sich auch damit, dass in diesem Fall nicht nur nach Krankheiten, sondern schon nach Behandlungen gefragt worden war und gelangt zu dem Ergebnis, dass damit auch Behandlungen abgefragt würden, die nicht wegen einer Krankheit erfolgt seien. Daher seien die Sitzungen beim Psychotherapeuten  angabepflichtige Behandlungen gewesen. Dem Versicherungnehmer sei aber zu glauben, dass er sich bei an diese Sitzungen nicht mehr habe erinnern können. Der Versicherungsnehmer hatte im Prozess angegeben, er habe den gesamten Vorgang aus seinem Gedächtnis gelöscht, weil die Behandlung nicht aus eigenem Antrieb, sondern nur auf Drängen der Mutter stattgefunden habe. Es habe aus seiner Sicht am Ende nur ein paar nette Gespräche mit dem Psychologen gegeben. Nach Auffassung des OLG müsse der Versicherungsnehmer nur angeben, woran er sich erinnere und sei nicht verpflichtet, zum Zwecke der Beantwortung der Gesundheitsfragen Nachforschungen zu betreiben über Inhalt und Umfang von Behandlungen.

Unser Ansprechpartner für Versicherungsrecht: Rechtsanwalt Dr. Frank Markus Döring.