Materialknappheit und Preisschwankungen am Bau

08

Jun.
2022

Materialknappheit und Preisschwankungen am Bau

erstellt von Jan-Hendrik Thomsen

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Bereits in der Covid-19 Pandemie ist es aufgrund von gesellschaftlichen Einschränkungen und „Lockdowns“ in verschiedenen Ländern zunächst zu Beeinträchtigungen und sodann sogar teilweise zu Unterbrechungen der Produktionen und Lieferketten gekommen. Diese Situation hat sich durch den Ukraine-Krieg und die globalen Sanktionen sowie auch durch die Steigerung der Energiekosten  nochmals drastisch verschärft. Die daraus resultierenden Preisschwankungen für Baustoffe und Material sind sehr groß und für Bauunternehmen und Bauherren kaum noch kalkulierbar.

 

In den Vertragsketten vom Rohstoffhändler über die Industrie zum Großhändler, den Verkauf bis hin zum Verbraucher versuchen die Unternehmen die erhöhten Preise an den jeweiligen Vertragspartner weiterzureichen. Steht dem jeweiligen Unternehmen in der hier betrachteten Konstellation keine vertragliche, gesetzliche oder sonstige Grundlage zur Verfügung, die Tragung oder Beteiligung an der Preissteigerung auf sonstiger Weise zu verlangen, beruft sich das Unternehmen häufig auf die Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 BGB.

 

Gemäß § 313 BGB kann eine Vertragsseite die Anpassung des Vertrages verlangen, wenn sich die Umstände die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach dem Vertragsschluss schwerwiegend verändert haben und die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen hätten, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten und einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. Ist eine Anpassung des Vertrages nicht möglich oder einem Teil nicht zumutbar, so kann der benachteiligte Vertragspartner vom Vertrag zurücktreten respektive kündigen.

 

Grundsätzlich gilt, dass ein einmal vereinbarter Preis, ob Pauschal- oder Einheitspreis, auch vereinbart bleibt und dieser nicht einseitig von einer Seite verändert werden kann. Etwas anderes kann gelten, wenn das Bausoll verändert wird, es zu Mengenveränderungen kommt oder Bauzeiten sich verschieben usw.. Es können dann Anspruchsgrundlagen aus BGB oder VOB/B zur Verfügung stehen, die Preisveränderungen beanspruchbar machen können.

 

Der vertraglich vereinbarte Preis ist mithin ein Festpreis und das Materialbeschaffungsrisiko und das daraus resultierende Preisrisiko und die Kosten für die Materialbeschaffung gehen zu Lasten des Auftragnehmers. Dies ist die in § 313 angeführte "vertragliche und gesetzliche Risikozuweisung", die in der Ausgangslage zu Lasten des Auftragnehmers geht. Die für die Materialbeschaffung usw. entstehenden Kosten sind in der Regel jedoch variabel, da die Kostenentwicklungen, insbesondere über längere Zeiträume nie abschließend vorhergesehen werden können. Um unvorhersehbare Entwicklungen des Preises auch später noch beim Preis berücksichtigen zu können, werden in Verträgen nicht selten Preisgleitklauseln vereinbart oder Risikoaufschläge als „Preispuffer“ vereinbart.

 

Die grundsätzliche Bindung der Parteien an den ursprünglich vereinbarten Preis ist so lange kein Problem und entspricht dem üblichen Wirtschaftsleben, wie sich Preisschwankungen im Rahmen oder in bekannten Erfahrungswerten bewegen. Bereits in der Corona-Zeit hat es bei Baustoffen und Materialien teilweise Preissteigerungen im hohen zweistelligen Prozentbereich gegeben. Durch den Ukraine-Krieg hat es nochmal Preissteigerungen gegeben.

 

Voraussetzung des § 313 BGB und für eine Anpassung des Vertrages bzw. der Preise des Vertrages ist, dass eine schwerwiegende Veränderung der Vertragsgrundlage bzw. deren Umstände eingetreten ist. Die von der Covid-Pandemie betroffenen Umstände und die massiven Auswirkungen auf gesellschaftliche und wirtschaftliche Lagen hat der BGH bereits als möglich betroffenen Teil der „großen Geschäftsgrundlage“ bezeichnet. Unter dieser „großen Geschäftsgrundlage“ verstünde man die Erwartung der Vertragsparteien, dass sich die grundlegenden politischen, sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen eines Vertrages nicht ändern und die Sozialexistenz nicht erschüttert werden würde. (BGH NZBau 2022, 86).

 

Der Schluss liegt nahe, diese Ausführungen des BGH auf den Ukrainekrieg zu übertragen, wenn beide Parteien beim Vertragsschluss davon ausgegangen sind, dass die Baumaterialien auch künftig und nur zu üblichen Preisschwankungen zu erhalten sind. Die Preisschwankungen dürften aber wohl kaum mehr erwartbar sein. Durch die deutliche Veränderung der politischen Rahmenbedingungen kommt ein Betroffensein der Geschäftsgrundlage durchaus in Betracht.

 

 

Des Weiteren kommt es auf die Vorhersehbarkeit an und darauf, ob die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen hätten, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten. In der Regel wäre - wie ausgeführt - wohl dann durch Preisgleitklauseln oder Risikozuschläge reagiert worden, so dass auch dieses Element des § 313 BGB durchaus in der Erfüllung in Betracht kommt.

 

Letztlich muss einem Vertragspartner das Festhalten an dem unveränderten Vertrag unzumutbar sein. Dies ist ein wertendes Element des § 313 BGB, aus dem einmal mehr die Unsicherheit der Bewertung der Sach- und Rechtslage anhand des § 313 BGB folgt.

 

In der Literatur wird angeführt, dass die Unzumutbarkeit sich nicht auf die Preise in einzelnen Leistungspositionen beziehen darf, sondern die Unzumutbarkeit muss immer in Relation zum Gesamtauftrag gestellt werden. Es gibt keine starre Prozentgrenze ab der die Unzumutbarkeit am Festhalten am Vertrag gegeben oder nicht gegeben ist. Der BGH hat mehrfach ausgeführt, dass immer eine Bewertung des Einzelfalls und aller seiner Umstände erfolgen muss. Es müssen zudem die Interessen beider Vertragsparteien in die vorzunehmende Interessenabwägung eingestellt werden und nicht nur die des Bauunternehmens welches sich als erstes der Preissteigerung ausgesetzt sieht.

 

Gemäß § 313 BGB ist insbesondere die im Gesetz genannte vertragliche und/oder gesetzliche Risikoverteilung in die Abwägung einzubeziehen, die – wie dargestellt – hinsichtlich des Beschaffungsrisikos und des Risikos der Leistungserschwerung beim Bauunternehmer liegt. So kann beispielsweise auch der Auftraggeber keine gestiegenen Finanzierungszinsen an den Vertragspartner durchreichen. Entsprechendes gilt grundsätzlich für die Anschaffungskosten des Bauunternehmens.

 

Berücksichtigung bei der Bewertung des Einzelfalls und der Interessenabwägung können finden:

 

Die Ursache der Kostenabweichung, ihre Vorhersehbarkeit, grundsätzliche Risikoverteilung zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer, der Grad der Kalkulierbarkeit einer Abweichung, die Möglichkeit der Vermeidung der verwirklichten Risiken im Vorhinein wie auch während der eingetretenen Störung sowie der dazu erforderliche Aufwand, die Dauer der Störung, die eventuelle vertragliche besondere Risikozuweisung, der Prozentsatz der Mehrkosten, bezogen auf Position und Einteilung des Vertrages in einzelne Vergütungsabschnitte, wobei es eher auf die Auswirkung auf den Gesamtpreis ankommen wird sowie der Prozentsatz der Mehrkosten, bezogen auf den Gesamtpreis. Ferner kann – freilich wiederum, um Beachtung der grundsätzlichen Risikoverteilung – berücksichtigt werden, ob der Auftraggeber das Objekt finanziert hat und die Finanzierung bei einer Anpassung scheitern würde, ob der Auftraggeber das Objekt bereits zu festen Preisen veräußert hat und /oder ob durch die verbauten nunmehr „teureren“ Materialien auch der Wert des Objektes gestiegen ist (NZBau 2022, 251).

Die Rechtsprechung ist insbesondere bei dem Kriterium der Vermeidbarkeit streng. Zeichnen sich Beschaffungsproblematiken und /oder Preissteigerungen bereits bei Vertragsschluss ab, kommt eine Anpassung über §313 BGB in aller Regel nicht in Betracht. Aber auch in der Literatur (NZBau 2022, 251) wird vertreten:

 

„Bei Verträgen, die zwar vor dem Ukraine-Krieg aber in der Kenntnis der Corona-Krise (mit all ihren Auswirkungen auf Beschaffungsproblematiken und Lieferschwierigkeiten) geschlossen worden sind, ist eine Anpassung daher besonders schwierig, da durch die Pandemie verursachten Preissteigerungen im weiteren Umfang unberücksichtigt bleiben dürfen. Für Verträge, die erst nach dem Ausbruch des Krieges am 24.02.2022 abgeschlossen wurden bzw. erst noch in der Zukunft abgeschlossen werden, dürften einer Anpassung über § 313 BGB wegen der Auswirkungen des Krieges daher wohl nicht in Betracht kommen.“

 

In die Bewertung ist auch einzustellen, so zumindest die überwiegende Auffassung in der Rechtsprechung, dass auch die finanziellen Umstände, beispielsweise eine drohende Insolvenz des Auftragnehmers, in die Bewertung einzustellen ist. Alleine ist diese jedoch nicht hinreichende oder notwendige Bedingung für die Unzumutbarkeit im Sinne des § 313 BGB.

 

Die Folge des § 313 BGB ist eine Vertragsanpassung, welche einen weiteren Ermessensspielraum bietet. So soll in dieser Anpassung selbige so weit vorgenommen werden, wie es der konkreten Interessenabwägung in Ausgleich der schutzwürdigen Interessen beider Seiten entspricht. Da dies ein unbestimmter Rechtsbegriff ist, kann dies vieles bedeuten. Faktisch sind unzählige Möglichkeiten zwischen den beiden wechselseitigen Maximalpositionen der Parteien denkbar. In der Regel läuft es aber auf eine Anpassung der Vergütung hinaus. Durch die Materialpreissteigerung soll der benachteiligten Partei die Leistungserfüllung wieder zumutbar werden. Ein entsprechendes Anpassungsbegehren muss seitens der benachteiligten Partei formuliert werden.

 

In aller Regel gilt jedoch, dass es zu keiner vollständigen Preisanpassung zu Gunsten des Auftragnehmers kommen kann, da er das Risiko der Schwankung der Einkaufspreise grundsätzlich trägt. Zudem würde es sich nicht um einen Interessenausgleich handeln.

 

Momentan gilt im Baurecht einmal mehr verstärkt das Kooperationsgebot, welches vereinfacht aussagt, dass die Parteien bei Meinungsverschiedenheiten und Unsicherheiten miteinander sprechen müssen, um eine Lösung zu finden. Wenn die Umstände der Pandemie oder des Ukrainekrieges nicht zum Gegenstand des Vertrages gemacht wurden, was auf vor der jeweiligen Krise geschlossene Verträge zutreffen dürfte, kann bei entsprechenden Preissteigerungen die Geschäftsgrundlage betroffen sein und ggfs. auch tatsächlich die Voraussetzungen des § 313 BGB gegeben sein. Da § 313 BGB allerdings eine wertende Generalklausel ist, sind die Folgen aus der Anwendung im Falle des Vorliegens der Voraussetzungen nur schwer vorhersehbar. Deswegen sollten die Parteien versuchen, eine einvernehmliche Verhandlungslösung zu der Preissteigerung miteinander zu finden und diese nicht erst durch einen langwierigen Rechtsstreit versuchen zu finden, an dessen Ende die Wertung des Gerichts steht, die vielleicht gar nicht im Sinne der Parteien ist. Natürlich kann es auch nicht darum gehen „um jeden Preis“ eine Einigung zu finden und sich quasi einseitig von einer Seite des Vertrages das Vorgehen diktieren zu lassen.

 

Unser Ansprechpartner für privates Baurecht: Rechtsanwalt Jan-Hendrik Thomsen.