Umgekehrtes Quotenvorrecht in der Vollkaskoversicherung

26

Apr.
2024

Umgekehrtes Quotenvorrecht in der Vollkaskoversicherung

erstellt von Dr. Frank Markus Döring

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Leistet der Versicherer auf einen versicherten Schaden, gehen in Höhe seiner Leistung Schadensersatzansprüche des Versicherungsnehmers gegen Personen, die den Schaden verursacht haben, aufgrund gesetzlicher Regelung im Versicherungsvertragsgesetz (VVG) auf den Versicherer über. Die gesetzliche Regelung bestimmt dabei, dass dieser Übergang "nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers" geltend gemacht werden kann. Das bedeutet, dass aus den Leistungen des Schädigers erst einmal die Ansprüche befriedigt werden, die beim Versicherungsnehmer verbleiben und nicht auf den Versicherer übergehen.

Die "klassische" Konstellation, in der sich diese Regelungen auswirken, ist diejenige eines Verkehrsunfalls bei Bestehen einer Vollkaskoversicherung. In der Regel werden Schäden aus einem Verkehrsunfall unter den Beteiligten aufgeteilt und eine "Haftungsquote" gebildet. In der Vollkaskoversicherung gibt es eine solche Quote nicht. Der Versicherer ist unabhängig von der "Quote", die gegenüber dem anderen Beteiligten anzuwenden ist, zur vollständigen Entschädigung verpflichtet. Der Versicherungsnehmer wird in solchen Konstellationen daher zumeist erst einmal seinen Vollkaskoversicherer in Anspruch nehmen. Dabei erhält er indessen auch keinen vollständigen Ausgleich für seinen Schaden, weil in der Regel eine Selbstbeteiligung vereinbart ist und Schadenspositionen wie die Wertminderung des Fahrzeugs und Sachverständigenkosten nicht versichert sind.

Kommt es nun zur Leistung des Haftpflichtversicherers des anderen Unfallbeteiligten nach der anzuwendenden Quote, bewirkt die gesetzliche Regelung zum Forderungsübergang, dass aus dem vom Haftpflichtversicherer gezahlten Betrag erst einmal vollständig die nicht versicherten Schadenspositionen beglichen werden. Durch dieses "Quotenvorrecht" erhält der Versicherungsnehmer am Ende zumeist eine vollständige Erstattung seines Schadens. Der Kaskoversicherer erhält hingegen nur einen Anteil seiner Leitungen aus der Vollkaskoversicherung, der unterhalb der Quote liegt.

Diese rechtliche Situation ist seit langem geklärt für den Fall, dass der Versicherungsnehmer erst seine Vollkaskoversicherung in Anspruch nimmt und es danach zur Leistung des Haftpflichtversicherers des anderen Unfallbeteiligten kommt. Umstritten war hingegen, ob das Quotenvorrecht auch gilt, wenn zuerst der Haftpflichtversicherer nach Quote leistet und der Versicherungsnehmer danach seine Vollkaskoversicherung auf den restlichen Schaden in Anspruch nimmt. Dazu wurde vertreten, dass der Versicherungsnehmer keinen vollständigen Ausgleich seines Schadens verlangen könne, weil das voraussetze, dass der Vollkaskoversicherer auch auf Positionen leiste, die nicht versichert seien. So hätte z.B. bei einer Quote von 50% der Haftpflichtversicherer die Hälfte der Wertminderung erstattet. Wolle man nun verlangen, dass der Vollkaskoversicherer den gesamten Restschaden von 50% zahle, führe dass auch zu einer Zahlung von 50% der Wertminderung, obwohl die gar nicht versichert sei.

In einem Beschluss vom 31.05.2023 (Aktenzeichen: IV ZR 299/22) hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden, dass in einem Fall, in dem der Vollkaskoversicherer erst im Nachhinein in Anspruch genommen wird, gleichwohl ein „umgekehrtes Quotenvorrecht“ gelte mit der Folge, dass der Versicherungsnehmer doch seinen kompletten Schaden erstattet bekommt. In dem vom BGH entschiedenen Fall hatte der Versicherungsnehmer den Haftpflichtversicherer seines Unfallgegners in Anspruch genommen, weil er von dessen alleiniger Haftung ausgegangen war. Es kam zum Prozess, in dem ihm nur eine Quote von 40 % zugesprochen wurde. Nunmehr nahm er seine Vollkaskoversicherung in Anspruch, die bei ihrer Abrechnung die nicht versicherten Positionen unberücksichtigt ließ. Dem folgte der BGH nicht und stellte klar, dass auch bei der nachlaufenden Inanspruchnahme des Vollkaskoversicherers das Quotenvorrecht des Versicherungsnehmers zu berücksichtigen sei.

Der Fall wies zudem die Besonderheit auf, dass auf die nicht versicherten Positionen im Verhältnis zum eigentlichen Sachschaden sehr hohe Beträge entfielen. Der BGH stellt daher zusätzlich klar, dass die Leistungen des Vollkaskoversicherers der Höhe nach begrenzt sind auf den Betrag, den er bei anfänglicher Inanspruchnahme hätte leisten müssen, also den Betrag der versicherten Schadenspositionen abzüglich der Selbstbeteiligung.

Unser Ansprechpartner für Versicherungsrecht: Rechtsanwalt Dr. Frank Markus Döring.