Arbeitszeiterfassung - Handlungsbedarf für Arbeitgeber

10

Feb.
2021

Arbeitszeiterfassung - Handlungsbedarf für Arbeitgeber

erstellt von Jan-Kai Jensen

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Warum es sich trotz fehlender nationaler Regelung zur Arbeitszeiterfassung für Unternehmen empfiehlt, schon jetzt ein Zeiterfassungssystem einzuführen.

Der EUGH und das Thema Zeiterfassung

In der aufsehenerregenden Entscheidung vom 14. Mai 2019 hatte der EUGH entschieden, dass die Mitgliedstaaten Arbeitgeber dazu verpflichten müssen, ein „objektives, verlässliches und zugängliches System“ zur Erfassung der Arbeitszeit eines jeden Arbeitnehmers einzuführen.Viele verstanden das Urteil als reine Handlungsempfehlungen an den deutschen Gesetzgeber, nicht aber an die Arbeitgeber, und rieten deshalb, abzuwarten, welcher Handlungsbedarf sich aus den zu erwartenden Gesetzesanpassungen für diese konkret ergeben würden. Weil vom Gesetzgeber in dieser Hinsicht nichts passierte, geriet das Thema auch bei den Arbeitgebern zunehmend in Vergessenheit.

Arbeitsgericht überholt Gesetzgeber

Das vergangene Jahr jedoch zeigte, dass die Rechtsprechung nicht auf die Gesetzgebung wartet. Mit seinen beiden Entscheidungen vom 20.02.2020 (Aktenzeichen 2 CA 94/19) und 24.09.2020 (Aktenzeichen 2 CA 144/20) könnte das Arbeitsgericht Emden den Gesetzgeber vielmehr überholt haben. Denn das Gericht entnimmt dem EUGH-Urteil vom 14. Mai 2019 eine unmittelbare Verpflichtung zur Entwicklung eines Zeiterfassungssystems durch den Arbeitgeber mit weitreichenden Konsequenzen, wie die beiden Entscheidungen des Arbeitsgerichts Emden zeigen.

Erste Entscheidung des ArbG Emden

In dem vom Arbeitsgericht Emden durch Urteil am 20.02.2020 entschiedenen Fall hatte der Arbeitnehmer, ein Bauhelfer, die Vergütung von Überstunden geltend gemacht und eingeklagt. Er stützte sich dabei auf seine privat geführten Stunden Aufzeichnungen. Der Arbeitgeber verteidigte sich mit einem Hinweis auf das Bautagebuch, aus dem sich ergeben sollte, dass der Kläger weniger als die behaupteten Stunden gearbeitet hatte. Das Arbeitsgericht behandelte die vom Arbeitnehmer behaupteten Arbeitsstunden als zugestanden, da dem Arbeitgeber mithilfe des Bautagebuch keine ausreichende Beweisführung gelungen sei. Der Arbeitgeber sei, so das Arbeitsgericht, nur dann in der Lage, die dargelegten Überstunden zu widerlegen, wenn er ein dem EUGH-Urteil entsprechendes Arbeitszeiterfassungssystem vorhalten würde. Weil das vom Arbeitgeber geführte Bautagebuch kein solches „objektives, verlässliches und zugängliches System“ zur Erfassung der Arbeitszeit darstelle, könne er im Rahmen der ihn im Vergütungsprozess treffenden abgestuften Darlegungslast- und Beweislast nicht erfolgreich bestreiten, dass die vom Arbeitnehmer dargelegten Überstunden angefallen sind.

Zweite Entscheidung des ArbG Emden

In dem der Entscheidung vom 24.09.2020 zugrunde liegenden Fall klagte eine Arbeitnehmerin, die als kaufmännische Angestellte in Vertrauensarbeitszeit arbeitete, nach erfolgter Eigenkündigung die Vergütung von ca. 1.000 Überstunden ein, die sie mittels einer von dem Arbeitgeber zur Verfügung gestellten Software aufgezeichnet hatte. Das Arbeitsgericht Emden gab auch hier der Klage statt. Die Prüfung, ob Überstunden zu vergüten sind, sei in zwei Stufen vorzunehmen. Auf der ersten Stufe müsse der Arbeitnehmer darlegen, wann ein welchem Umfang gearbeitet oder sich zur Arbeit bereitgehalten habe. Auf der zweiten Stufe sei zu prüfen, ob die Überstunden dem Arbeitgeber zurechenbar bzw. vom Arbeitgeber veranlasst seien. Dies setze eine Anordnung, Billigung, Duldung oder die Notwendigkeit zur Erledigung der geschuldeten Arbeit der Überstunden voraus. Im vorliegenden Fall, so das Arbeitsgericht, habe der Arbeitgeber die Überstunden geduldet, sein Bestreiten, die Überstunden veranlasst zu haben, sei nicht ausreichend.

Die bisher vom Bundesarbeitsgericht geforderte positive Kenntnis des Arbeitgebers von geleisteten Überstunden als notwendige Voraussetzung für deren Duldung sei aufgrund des Urteils des EUGH vom 14. Mai 2019 nicht mehr erforderlich, wenn sich der Arbeitgeber die Kenntnis der Arbeitszeiten des Arbeitnehmers durch Einsichtnahme in die Arbeitszeiterfassung, zu deren Überwachung bzw. Kontrolle er verpflichtet sei, verschaffen könne. Der Vortrag des Arbeitgebers, er habe aufgrund der Vertrauensarbeitszeit die Arbeitszeiterfassung nicht kontrolliert, genüge, so das Arbeitsgericht Emden, nicht, eine Duldung zu widerlegen. Nach den Grundsätzen der Entscheidung des EUGH ergebe sich aus § 618 Abs. 1 BGB in europarechtskonformer Auslegung, hilfsweise aus § 241 Abs. 2 BGB, eine Verpflichtung des Arbeitgebers, zur Messung, Aufzeichnung und Kontrolle der Arbeitszeiten der Arbeitnehmer. Überdies folge die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Einrichtung eines „objektiven, verlässlichen und zugänglichen Zeiterfassungssystems“ bereits direkt aus der europäischen Zeiterfassungsrichtlinie.

Bedeutung für die Praxis

Auch wenn es sich bei den beiden Urteilen bis dato nur um zwei erstinstanzliche Entscheidungen eines deutschen Gerichtes handelt und die überwiegende Ansicht in der juristischen Fachliteratur auch weiterhin davon ausgeht, dass sich weder aus der EU-Arbeitszeitrichtlinie noch aus dem EuGH-Urteil vom 14. Mai 2019 unmittelbare Pflichten für den Arbeitgeber ergeben, sondern der deutsche Gesetzgeber in der Pflicht ist, so ist doch nicht auszuschließen, dass sich auch andere Gerichte der Meinung des Arbeitsgerichts Emden anschließen werden. Für Arbeitgeber besteht damit ein nicht unerhebliches Risiko, wenn sie auf eine Erfassung der Arbeitszeiten komplett verzichten oder die Zeiterfassung nur unzureichend kontrollieren und unerwünschte Überstunden nicht unterbinden. Kann der Arbeitgeber keinen, den Ansprüchen des EUGH genügendes Zeiterfassungssystem vorweisen, besteht für ihn vielmehr die Gefahr, dass er vor Gericht in oft kostspieligen Prozessen über Vergütungsfragen, wie die beiden Urteile des Arbeitsgerichts Emden zeigen, in erhebliche Beweisnot geraten wird.
Zeiterfassung bei Kurzarbeit und Homeoffice, Vertrauensarbeitszeit

Unabhängig von dem beschriebenen Risiko in Vergütungsprozessen gewinnt das Thema einer stichhaltigen Arbeitszeitdokumentation in diesen Zeiten aber auch in anderer Hinsicht besondere Bedeutung.
So sollten Arbeitgeber, die Kurzarbeitergeld in Anspruch nehmen, besonders Augenmerk auf eine stichhaltige Arbeitszeitdokumentation legen. Dies gilt jedenfalls, wenn keine Konstellation von „Arbeitszeit Null“ vorliegt. Die Arbeitsagenturen nämlich sind im Rahmen ihrer Abschlussprüfung angehalten, für die Feststellung des Ausmaßes des Arbeitsausfalls entsprechende Unterlagen beim Arbeitgeber anzufordern. Sollten diese nicht existieren und daher nicht vorgelegt werden können, dürfte es regelmäßig nicht gelingen, den tatsächlichen Arbeitsausfall und damit letztlich die Voraussetzungen des Kurzarbeitergeldes zu belegen.
Auch bezüglich der Versetzung vieler Mitarbeiter ins Homeoffice dürfte das Bedürfnis vieler Arbeitgeber steigen, die Arbeitszeit ihrer Arbeitnehmer genau nachvollziehen zu können.

Und schließlich ist das Modell der Vertrauensarbeitszeit, in dem keinerlei Arbeitszeiten aufgezeichnet werden, ohnehin auch nach der aktuellen Gesetzeslage bereits insofern mit Risiken behaftet, als das Arbeitszeitgesetz nach dem Verständnis der meisten Arbeitsschutzbehörden die Aufzeichnung jedenfalls der Arbeitsstunden erfordert, die über 8 Stunden pro Arbeitstag hinausgehen.

Was ist zu tun?

Fraglich bleibt, wie die vom EuGH geforderten Zeiterfassungssysteme konkret aussehen sollen. Klar ist, dass eine Aufzeichnung der täglichen Arbeitszeit zu erfolgen hat. Mit Blick auf die Notwendigkeit der Einhaltung von Mindestruhezeiten dürfte jedoch nicht nur die tägliche Arbeitsdauer, sondern auch der Beginn und das Ende der täglichen Arbeitszeit zu erfassen sein. Ob auch Pausenzeiten zu erfassen sind, ist strittig, aber empfehlenswert.

Im Sinne der Vorsorge ist Arbeitgebern nach alledem zu empfehlen, sich auf der Grundlage dieser Vorgaben darüber Gedanken zu machen, welches Zeiterfassungssystem für das eigene Unternehmen sinnvoll und umsetzbar sein könnte. Da es früher oder später zu einer gesetzlichen Umsetzung der Vorgaben des EuGH kommen wird, können Arbeitgeber mit einer guten Vorarbeit so wichtige Zeit bei der dann notwendigen Umsetzung sparen.

Unser Ansprechpartner für Arbeitsrecht: Rechtsanwalt Jan-Kai Jensen.